Kunst zwischen Belanglosigkeit und „Latrinenkitsch“

Kunst zwischen Belanglosigkeit und „Latrinenkitsch“.

von Eva Meloun

Latrinenkitsch, ist das treffende, von Friedrich Torberg geprägte Wort für das, was uns leider allzu oft  als GROSSE Kunst  nahegebracht wird

So wurde am Dachboden einer auch in Wien ansässigen Wiener internationalen Galerie  nicht nur eine Installation präsentiert ( zwei Betten auf denen sich ganz, ganz grausliche Dinge abgespielt haben mussten –  liegengebliebene Utensilien assoziierten dies), nein auch ein Endlosvideo  lies den Betrachter vor Ehrfurcht vor soviel großer Kunst erschauern: eine schöne junge Nonne schnitt einem muskulösen Mann am Oberarm, den Bizepsmuskels auf. Aus dieser Wunde rann in einem dicken Strom Eiter in eine, von der Nonne gehaltene, nierenförmigen Medizinschale. Leider hörte der gelbliche, dickflüssige Eiter nicht auf zu rinnen. Er rann über den Rand der Schale und floss und floss stetig weiter  aus dem Oberarm in die Schale und von der Schale ins Nirgendwo.
Da war mir endlich übel. Ein Beispiel für großartigen Latrinenkitsch!
Doch vielleicht wollte uns der Künstler  etwas Wichtiges sagen? Wollte er sein Grausen  vor muskulösen Bizeps dokumentieren? Oder vor Eiter? Oder vor schönen Nonnen? Nun ja, es gibt das schaurige Märchen  vom Mädchen mit dem Milchbrei. Vielleicht das? Aber traurigerweise fehlte in diesem Video der Zusammenhang mit einer entsprechenden Botschaft. Sagte Goethe nicht:
„ Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen“! ?  In diesem Fall, nein! Das ist nur Latrinenkitsch.
Diese Installation mit diesem Video ist ein Beispiel für viele Produkte der Kunstszene und spiegeln offensichtlich das Bedürfnis einer bestimmten Käuferschicht. Denken wir nur an das erhängte Mädchen in dem beschmutzten zerrissenen Organzakleidchen, das in der Zimmerecke eines bekannten New Yorker Sammlers hängt. ( Kiki Smith „Untitled (Hanging Women).

Soll das auf soziales Engagement hindeuten?
Muss der Künstler, um als „wichtiger“ Künstler anerkannt zu werden unbedingt ein rebellischer Wilder sein, oder ein Kämpfer, der soziale Ungerechtigkeit aufdeckt?  Das tausendfach  auf  Bildern wiederkehrende, kraxelig geschriebene Wort FUCK, mit oder ohne Rufzeichen, soll Symbol für künstlerische Freiheit und Loyalität mit den untersten Schichten dokumentieren. Nun, das wäre ein Anachronismus, denn das war schon da. Denken wir an Käthe Kollwitz und Zille, Dix und …und die vielen anderen, die mit Berechtigung und großem künstlerischen Können, mit ihren Arbeiten die Finger auf die Wunden ihrer Zeit legten. Heute bleiben zielstrebigen, karrieregeilen Kunstschaffenden nur mehr die wenigen Tabus, die es zu brechen gilt: das Spiel mit der Provokation, dem Hässlichen, dem Grausen und der sexuellen Obszönität. UND der verdummenden Belanglosigkeit. Auch oft in Verbindung mit den neuen Materialien, Bauschaum und Polyester und Plastik. Jeff Koons wurde mit seinen viel bewunderten Luftballon – Arbeiten, vor allem seinem rosa „Ballon Dog“ der teuerste Künstler der Welt!
Kunstkritiker und Museumsdirektoren, die in der peinlichen Lage sind, nicht zu wissen was Kunst heute für uns bedeuten soll, die den Unterschied zwischen Dekoration und Kunst nicht sehen und die Frage offenlassen, wie Kunst sich weiterentwickeln wird? Ingeborg Bachmann schrieb in den Frankfurter Vorlesungen zur Kunst: “…gibt die Kunst uns die Möglichkeit zu erfahren, wo wir stehen, oder wo wir stehen sollten,…“ 

Muss er, der Künstler  „kritzeln“, auch wenn er einen geraden Strich zeichnen kann? Muss er sich der Mode des Alzheimerstriches unterwerfen, weil es Kunstkritikern  gefällt in dieser kindlichen Bildsprache DIE Metapher für unsere Zeit zu sehen?
Die Medien sagen uns, was wir für gut und bemerkenswert halten sollen, einfach dadurch, dass sie die Auswahl treffen, die sie dem Publikum nahebringen. (Wobei die Frage offen bleibt, von wem und warum die Medienmacher zu ihrer Auswahl veranlasst werden).
Und wir, die desorientierten Kleinbürgergartenzwerge, in unseren Kanzleien und Büros, in unseren Villen und Sozialwohnungen, also wir die Konsumenten, die wir absolut keine kleinbürgerlichen Hinterwäldler sein wollen, wir stehen wie angewurzelt in fassungsloser Bewunderung vor so viel großer Kunst…

Wo ist der Knabe, der in die vor Ehrfurcht staunende Menge ruft: „der Kaiser ist nackt, er hat doch keine Kleider an“?


Wir haben Eva Meloun dazu eingeladen, in dieser Kolumne “Kunst – hinterfragt“ auf offene Fragen hinzuweisen und eine Diskussion darüber anzuregen. Im Rahmen dieser kurzen Glossen muss natürlich pointiert formuliert werden, kann nicht jede Perspektive ausgeleuchtet werden. Und natürlich werden auch positive Zeiterscheinungen kommentiert werden.
Wir bitten die Leser, selbst weiter zu hinterfragen und zu einem persönlichen Urteil zu gelangen.

„Der literarische Zaunkönig“   Nr.2 / 2014