Inwieweit irrte Joseph Beuys?

Inwieweit irrte Joseph Beuys?
Von Eva Meloun

„Jeder Mensch ist ein Künstler“ postulierte Joseph Beuys;
damit war er die glückhafte Künstlerpersönlichkeit, in der kulminierend Ort und Zeit, noch nicht gelebte Bedürfnisse und die Suche nach grundsätzlich Neuem zum Ausdruck kamen. Seine Präsenz auf der Bühne der Öffentlichkeit, von den späten 50ern, bis in die 80er Jahre, und sein Erfolg waren eine logische Folge seiner revolutionären künstlerischen Auffassung. Seine Aktionen künstlerischer und politischer Art wurden begeistert oder zumindest interessiert von der intellektuellen Nachkriegsgeneration angenommen, gleichzeitig aber auch provozierend empfunden.

Beuys stand politisch - zur Zeit der 68er Studentenbewegung – politisch eher links, er war mit Rudi Dutschke befreundet, aber auch von der Anthroposophie geprägt, eine interessante, widersprüchliche, dadurch aber auch bereichernde Konstellation.

Durchbruch zu neuem Bewusstsein
Schon äußerlich mit seinem Markenzeichen „Hut und Mantel“ eine Aufsehen erregende Persönlichkeit“,  wollte Beuys, narzisstisch und gleichzeitig missionarisch ein neues Bewusstsein schaffen um die Welt Kunst und Soziale Plastik * zum Besseren zu verändern: „Arbeite nur, wenn du das Gefühl hast, es löst eine Revolution aus“.


( Die „Soziale Plastik“ ist nach Beuys jede kreative Tätigkeit im Sinne des Allgemeinwohls.)

Mit seinem am meisten zitierten Satz „ jeder Mensch ist ein Künstler“ übergibt er jedem einzelnen das Geschenk besonderer persönlicher Aufmerksamkeit. Er hebt  jeden Menschen aus der Masse und schafft dadurch –„jeder ist ein Künstler“– wieder Masse. Diese nivellierende Tendenz beschreibt Ortega y Gasset in seinem „Aufstand der Massen“.

Ich will aber den Beitrag von Joseph Beuys für ein neues „Sehen“ in Bezug auf gesellschaftspolitische Veränderungen und die mit ihnen verbundene damalige Kunstlandschaft absolut nicht abwerten. Ich möchte nur, dass differenziert gedacht und beurteilt wird. Er war ein Künstler der seine Grenzen weiter steckte und den Blick für Neues in der Kunst öffnete -  z.B. durch die Einbeziehung der Materialien Fett und Filz. Damit riss er auch Künstlerkollegen wie B. Palermo mit und schuf so in der Kunst seiner Zeit eine neue Wirklichkeit.

Verhängnisvolle Verwechslung

Zu seinem Satz „ Jeder Mensch ist ein Künstler“ muss ich aber eines klarstellen: NICHT jeder Mensch ist Künstler.
Beuys ist in seiner Neigung zu Schlagworten, ein Sinnfehler unterlaufen. Dennoch wurde dieser Satz mit Begeisterung aufgegriffen und bis heute immer wieder zitiert.


Beuys postulierte:
„…..Jeder Mensch ist ein Träger von Fähigkeiten. Da wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er ein Künstler“.
Ich bin bereit in Ausnahmefällen  auch eine sehr weitgehende Definition zu akzeptierenaber der allgemeine Begriff „Kunst“ darf nicht seines ursprünglichen Sinnes beraubt und verschlampt werden.
Beuys hat eindeutig zwei Begriffe missverständlich verwechselt: Kunst und Kreativität. Kein Mensch ist ohne Kreativität lebensfähig. Jeder Mensch muss sich flexibel und einfallsreich auf  Neues einstellen, und sich mit Ideen und Lösungen wappnen können.
Kunst meint aber mehr.

Beuys hat also einerseits Wichtiges zum Verständnis von Kunst beigetragen, anderseits aber mit seinem viel zitierten Schlagwort der Kunst auch großen Schaden zugefügt.
Kunstexperten, die über die ranzige Butter in Beuys Marmeladeglas lange kontroversielle Betrachtungen schreiben, und  Mitmenschen, die glauben, dass z.B. eine in die Ecke gestellte Mistschaufel sie schon zu Künstlern macht, bedienen als Epigonen zwar den Zeitgeist aber nicht die Kunst. Beuys, aber auch die Medien, haben hier entscheidend zur Desorientierung und daher zur Verunsicherung bezüglich der Beurteilung von Kunst beigetragen.

Dazu zitiere ich ( gekürzt) den, durch seine scharfen Analysen bekannten  Schriftsteller Egon Friedell *:

 

( …)   jeder Mensch ist begeistert (…)  aber nur in wenigen seltenen Augenblicken (…) wie der Dichter die Natur, jedes Stück Rasen, jeden verschneiten Baumstumpf, (…) empfindet, so hat jeder schon irgendwann einmal Rasen, Baum (…)  empfunden, aber nur ein kurzes Zeitelchen, dann sank alles wieder hinab; er hatte es sofort wieder vergessen. Die meisten Menschen sind vergessliche Dichter. (…)
Der Dichter ist ganz einfach das ununterbrochen, was die übrigen Menschen alle fünf Jahre einmal  (…) sind. Er lebt mit den Dingen in dauernder Kryptogamie  (Anmerkung: in dauernder  heimlichen Beziehung lebend). Er ist immer begeistert, immer verliebt und darum immer weise.“

Das über den Dichter Gesagte gilt wohl für alle Künstler.

Egon Friedell: Der vergessliche Dichter. In: Steinbruch, Kleine Philosophie.
Zürich: Diogenes 1991, S 79f.

„Der literarische Zaunkönig“   Nr 1 /2014